Brustkrebs … und JETZT! – Schwäche hat mich stark gemacht

Dez. 17, 2024

Elisabeth Schweizer, Jahrgang 1968, ist eine Frau, die mit Leidenschaft und Hingabe Krankenschwester ist. Sie lebt dafür, anderen Menschen zu helfen, Trost zu spenden und Hoffnung zu geben. Doch mit 45 Jahren wird sie selbst zur Patientin – eine Rolle, die sie sich nie für sich selbst vorstellen konnte.

Als der histologische Befund Brustkrebs bestätigt, scheint es für Elisabeth zunächst unwirklich. Wie kann es sein, dass ausgerechnet sie, die immer stark sein musste, die Säule für andere war, nun selbst auf Hilfe angewiesen ist?

Doch mit der Diagnose steht sie vor einer viel größeren Frage: Darf sie, die immer für andere da war, sich verletzlich zeigen? Kann sie den Mut aufbringen, loszulassen – von Lebensvorstellungen, die sie festhielten, und von Menschen, die ihr nicht guttun? Elisabeth erkennt, dass wahre Stärke oft daraus entsteht, Schwäche zuzulassen und sich selbst den Raum für Veränderung zu geben. Ihre Geschichte ist eine Reise zu sich selbst.

„Wenn ich jemandem die Schuld für meine Erkrankung geben sollte, dann mir selbst. Ich habe viel zu lange an der unguten Beziehung zu meinem Mann festgehalten. Jahre vorher schon habe ich viel zu viel in mich hineingefressen und heruntergeschluckt. Mein Mann ist aber nicht der Sündenbock. Ich hätte meine Situation verändern können, ich hätte gehen müssen.“

 

Meine blinden Flecken

Ich bin Elisabeth, 45 Jahre alt und habe mich nach 20 Jahren Ehe von meinem Mann getrennt. Unser Sohn lebt jetzt bei seinem Vater. Es ist eine harte Zeit und ich brauche lange, um die Scheidung zu verarbeiten. Ich finde Halt in meinem Job, als Vollblutkrankenschwester erfüllt mich das Gefühl, auch weiterhin gebraucht zu werden. Als ich nach zwei Jahren endlich sagen kann, jetzt starte ich wieder voll durch, wird mein Leben nochmal richtig durchgeschüttelt.

Es ist ein Zufallsbefund. Während eines Vorsorgetermins entdeckt meine Ärztin beim Ultraschall eine Auffälligkeit und schickt mich zum MRT. Als meine Gynäkologin mich danach anruft und mich erneut in die Praxis bittet, denke ich mir nichts Schlimmes. Erst als sie darauf besteht, dass ich direkt einen Termin im Brustzentrum vereinbare, wird mir klar, dass etwas nicht stimmt. Nachdem der histologische Befund vorliegt, realisiere ich langsam, dass es bösartig ist.

Ich habe das Gefühl, dass die Diagnose Brustkrebs nicht zu mir gehört, als ob es eine andere Frau betrifft. Als Krankenschwester hefte ich für meine Patienten Befunde ab. Meine lege ich mit einem distanzierten Gefühl ab – das sind nicht meine, das gehört nicht zu mir. So verdränge ich lange, dass tatsächlich ich es bin, die jetzt zur Patientin geworden ist. Erst als die Chemo anfängt, wird mir bewusst, dass es hier um mein Leben geht, und mir wird klar: Ich muss da jetzt durch!

„Ich habe das Gefühl, dass die Diagnose Brustkrebs nicht zu mir gehört, als ob es eine andere Frau betrifft.“

Hilflos und verloren

Ich frage mich nie: Warum ich? Habe ich etwas falsch gemacht? Werde ich bestraft? Stattdessen sage ich mir, dass ich kein Einzelschicksal bin, jedes Jahr passiert tausenden Frauen das Gleiche. Jammern bringt mich nicht weiter. Es ist passiert, daran kann ich nichts ändern. Ich muss jetzt da durch und mache das Beste daraus. Los geht’s! (…)

Ich kann die Verbände und diesen Kompressions-BH kaum ertragen. Es ist alles furchtbar anstrengend, ich bin kaputt und nervlich angespannt. In allererster Linie versuche ich, meine Eltern zu schützen. Für sie ist meine Krankheit viel schlimmer als für mich: Ihr Kind ist krank, das ist für sie eine Tragödie. Doch meine Stärke ist nur aufgesetzt. Nach kurzer Zeit breche ich im Garten meiner Eltern verzweifelt zusammen: Ich kann das nicht. Ich mache das nicht. Ich will so nicht weitermachen!

Noch nie habe ich mich so hilflos und verloren gefühlt. Ich bin Krankenschwester auf einer Privatstation, mein Vorgesetzter ist Chefarzt für Inneres – von meinem gynäkologischen Problem erzähle ich ihm nichts, ich sehe dafür keine Notwendigkeit. Ich will auch nicht, dass die ganze Klinik darüber spricht, doch natürlich wissen trotzdem alle Bescheid. Alle bis auf einen. Mein Chef wundert sich, warum ich nicht mehr da bin, und von Kollegen erfährt er schließlich von meiner Diagnose. Er ruft mich sofort an und seine Worte sind Balsam für meine Seele: „Ich hole Dich jetzt nach Hause.“

Ich bin ihm wahnsinnig dankbar, endlich ist da jemand, der mich an die Hand nimmt. Er findet eine einfühlsame Onkologin und organisiert den weiteren Behandlungsplan in unserer Klinik. Für mich ist es wirklich wie „nach Hause kommen“, die Ärzte sind mir vertraut, es herrscht ein liebevoller, ehrlicher Umgang und ich fühle mich gut aufgehoben. Von jetzt an kann ich kerzengerade durch die Therapie gehen.

„„Ich hole Dich jetzt nach Hause.“ Ich bin ihm wahnsinnig dankbar, endlich ist da jemand, der mich an die Hand nimmt.“

Kraft durch Verletzlichkeit

Es ist für mich die größte Katastrophe, als meine Haare nach der zweiten Chemo büschelweise ausfallen. Meine Freundin ist Friseurin, sie kommt zu mir nach Hause und wir hören mindestens zehnmal hintereinander Purple Rain von Prince in voller Lautstärke. Dann kommt der Rasierer – und ich finde mich super. Meine Perücke trage ich nur einmal, für ein Passfoto.

Ich will weiterhin an meinem gewohnten Leben festhalten. Eines Abends sitze ich im Pub, mir gegenüber hockt ein junger Schnösel vor seinem Getränk. Als ich meine Mütze abnehme, guckt er mich an und sagt: „Igitt, wie siehst Du denn aus?“ Ich bin völlig perplex und mein erster Gedanke ist, die Mütze wieder aufzusetzen. Aber warum eigentlich? Jetzt erst recht: „Wenn Dir das nicht passt, dann musst Du eben gehen!“ So einfach ist das. Meine Verletzlichkeit hat mir Kraft geschenkt. Ich bin stolz auf mich und meine Reaktion. (…)

„(…) wir hören mindestens zehnmal hintereinander Purple Rain von Prince in voller Lautstärke. Dann kommt der Rasierer – und ich finde mich super.“

Allein

Mein Sohn Felix ist 19 Jahre alt, als ich die Diagnose bekomme. Er kann damit überhaupt nicht umgehen und zieht sich wochenlang komplett zurück. Schon seine geliebte Oma ist an Brustkrebs verstorben, seine Angst ist unbeschreiblich, dass er auch mich verliert. Er kann sich kaum überwinden, mich ohne Haare zu sehen. Sein Verhalten macht mir sehr zu schaffen, doch ich versuche, ihn zu verstehen. Ich will für Felix gesund sein. Ich will ihm sagen können, dass es mir gut geht. Ich will es schaffen.

Er soll keine Angst haben, dass seine Mama geht. Jedenfalls jetzt noch nicht. Ich will bei seiner Hochzeit mit ihm tanzen, das ist mein größter Wunsch und meine Motivation. (…)

 

Struktur macht mich stark

Ich brauche eine klare Struktur und entwickle eine richtige Macke, was die Termine für die Chemo und die Bestrahlungen angeht und die ich unbedingt einhalten will. Diese Zwischenziele sind für mich überlebenswichtig, ich will sie pünktlich erreichen und unter keinen Umständen verschieben. Ich klammere mich an die Termine, sie geben mir Halt und die Sicherheit, dass die Krankheit vorbei geht. Als die Chemo einmal um zwei Wochen verschoben werden soll, weil meine Blutwerte nicht in Ordnung sind, ist das für mich eine Katastrophe. Aber auch das habe ich überlebt. Es geht vorbei. (…)

„Das ist mein Mantra, das mich durch die Therapie trägt. Es geht vorbei.“

Mich begleiten drei wunderbare Freundinnen durch meine Krankheit, nur eine der Freundschaften zerbricht nach der Krankheit. Aber auch damit hadere ich nicht.

Die Chemotherapie ist keinesfalls ein Spaziergang, aber ich bin zuversichtlich, dass ich das hinkriege.Tief durchatmen, ich schaffe das. Egal was kommt. Im Leben gibt es Herausforderungen, mit denen keiner gerechnet hat und denen man sich stellen muss. Wenn man das auf die Lebenszeit sieht, ist es nur ein kleiner, ein ganz kleiner Umweg. Es geht vorbei.

 

Demut und Heilung

In der Reha wird mir bewusst, wie viele Menschen es gibt, deren Zustand deutlich ernster ist. Ich treffe auf viele viel jüngere Frauen mit einem schlimmeren Verlauf und einer wesentlich schlechteren Prognose. Das macht mich demütig und ist sehr heilsam für mich.

Jetzt bin ich auch endlich bereit, mich einer Psychotherapeutin anzuvertrauen. Als ob sich eine Schleuse öffnet, sitze ich vor der Therapeutin und heule. Bin ich noch ganz dicht? Es ist doch alles vorbei. Ich muss doch stark sein, warum heule ich jetzt?

Die Psychologin sagt einen Satz, der mich bis heute trägt: „Sie müssen gar nichts! Begreifen Sie, dass Sie in diesem Fall keine Krankenschwester sind, sondern eine Patientin!“
Die Einzelgespräche sind für mich die wichtigsten Stunden nach der Brustkrebstherapie, um mich wieder in die Spur zu bringen – allein hätte ich das wahrscheinlich nicht geschafft. (…)

„Jetzt bin ich auch endlich bereit, mich einer Psychotherapeutin anzuvertrauen. Als ob sich eine Schleuse öffnet, sitze ich vor der Therapeutin und heule.“

Erkenntnis

Meine Brustkrebserkrankung ist für vieles gut gewesen. Ich bin eine Frau, die in allem einen Sinn sucht und fest davon überzeugt ist, dass nichts im Leben ohne Sinn passiert. Manchmal dauert es sehr lange, bis ich die Bedeutung finde, aber irgendwann finde ich sie. (…)

Es macht mich glücklich, dass ich wunderbare Freundschaften geschlossen habe und großartige Menschen in mein Leben getreten sind, die ich sonst wahrscheinlich niemals kennengelernt hätte. Vor allem habe ich sehr viel über mich gelernt. Ich habe nicht gewusst, wie stark ich sein kann. Ich habe
gelernt, dass es nicht gut ist, Sachen herunterzuschlucken. (…)

Ich habe gelernt, Nein zu sagen, das konnte ich vorher nicht – allein dafür war es das wert. Ich genieße es, dass ich jetzt Ja zu mir sagen kann, und trenne mich rigoros von Menschen, die mir nicht guttun. Seit der Krankheit bin ich auch mutiger geworden. Ich probiere viele Dinge aus und sage mir: Was soll‘s, was kann schon schiefgehen? Mach es einfach.

 

Schwäche zulassen macht stark

Die LebensHeldin!-Reise mit LebensHeldin! e.V. hat mir vieles bewusster gemacht und mir gezeigt, wie wichtig Selbstfürsorge ist, um ein Rezidiv zu vermeiden. Ich habe mich auf eine andere Station versetzen lassen, wo meine Tätigkeit körperlich nicht mehr so anstrengend und die Arbeit insgesamt nicht mehr so stressig ist. Ich weiß jetzt, wie schnell es passieren kann, überhaupt nicht mehr arbeitsfähig zu sein. Heute gehe ich in die Klinik und freue mich, dass ich arbeiten darf.

Mein Tagesablauf hat sich komplett geändert, ich bin viel entspannter. Meine Freizeit gestalte ich nach meinen Wünschen. Wenn ich mal wieder krank bin und trotzdem arbeiten will, erinnert mich eine gute Freundin: „Gib auf Dich acht, lass Dich krankschreiben, sei eine Patientin.“ Das fällt mir immer noch schwer und ich bin froh, dass sie mich darauf aufmerksam macht. Meine Diagnose ist jetzt acht Jahre her, und endlich kann auch mein Sohn mit mir über diese Zeit sprechen. Als er damals von meiner Krankheit erfahren hat, dachte er, dass ich sterben muss. Er hat nicht erwartet, dass ich solche Kräfte entwickle.

Ich habe mein Leben verändert und bin für mich losgegangen. Dadurch hat sich alles zum Positiven entwickelt. Ich habe erkannt, was wirklich wichtig ist: die Liebe zu mir selbst.

„Ich habe erkannt, was wirklich wichtig ist: die Liebe zu mir selbst.

Ich bin eine LebensHeldin

Schon das Wort „LebensHeldin“ hat mich positiv verändert. Selbst wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, mich so zu nennen. Aber ich trage die Bezeichnung heute mit Stolz.

Ich habe erkannt, dass ich nicht allein bin mit meinen Ängsten und meinen schrägen Gedanken, und das schenkt mir ein neues Gefühl der Zugehörigkeit. Für mich stand es nie im Raum, dass ich eine Selbsthilfegruppe besuche. Aber LebensHeldin! e.V. ist so komplett anders und ich bin nun Teil einer wunderbaren Gemeinschaft. Die größte Erkenntnis meiner HeldinnenReise ist für mich, dass meine Stärke eine Illusion war.

„Ich darf Schwäche zulassen, und das macht mich stark.“

LebensHeldin! – Projekte auf einen Blick

Der Verein LebensHeldin! möchte (Mit)Betroffene auf ihrem Weg mit Brustkrebs begleiten und stellt dabei vor allem den positiven Umgang mit der Erkrankung in den Vordergrund.

  • Das Mutmach-Buch: 21 Frauen erzählen, wie sie es geschaffthaben, trotz teilweiser niederschmetternder Prognosen ihren Heldinnenweg zu einem glücklichen, erfüllten Leben zu gehen. Außerdem finden sich wertvolle Empfehlungen, was Frauen während und nach der Therapie stärken kann.
  • Der LebensHeldin! Podcast mit vielen kraftspendenden Interviews, Expertenbeiträgen und Meditationen
  • Sisterhood-Community: In den monatlichen Treffen (Online oder in Präsenz in vielen Orten in Deutschland und der Schweiz) mit Meditation, Tanzen und persönlichem Austausch sowie Impulsen zur Resilienzsteigerung geht es darum, den Blick auf das veränderte, neue Leben zu richten, um aus der Lebenskrise in die eigene Kraft zu kommen und eine positive Einstellung für die Zukunft zu stärken.
  • Digitale Mentorinnen-Ausbildung: Für alle Frauen, die etwas zurückgeben und selbst eine Sisterhood-Gruppe leiten möchten, um in einer Gemeinschaft Raum für Austausch zu bieten.
  • Workshops und Events im Mitgliederbereich: Die Angebote laufen meist online ab, um möglichst vielen Frauen, unabhängig von ihrem Wohnort, Zugang zu ermöglichen.
  • Healing-Reisen: Unsere Reise dreht sich darum, sich gegenseitig zu inspirieren und der Krebserfahrung mit Optimismus, Zuversicht und Vertrauen in die eigenen Stärken zu begegnen. Eine Reise, die alle Frauen verbindet – unabhängig, ob sie selbst eine Krebserfahrung durchlebt haben oder Begleiterin auf dem Heilungsweg waren.

 

Quelle: mammamia-online.de

Der Text ist in gekürzter Form aus dem Buch „LebensHeldin! DU bist die Heldin Deines Lebens“, erschienen im Berg & Feierabend Verlag.

Das Buch ist für 26 Euro überall im Buchhandel erhältlich und eine Krafttankstelle für jede Frau, die eine Krebsreise durchlebt (hat).
Jedes Neu-Mitglied von LebensHeldin! bekommt das Buch geschenkt. Das wird über Spenden finanziert und möglich gemacht und wir sind dankbar für jede finanzielle Hilfe.

Fotos: MARTINA VAN KANN  van-kann.de