Sie ist cooler als früher, sie kann endlich für sich einstehen. Ihr ist egal ob Männer sie scharf finden oder nicht. Autorin Miriam Stein („Die gereizte Frau“) hat so viele positive Veränderung durch ihre Wechseljahre erlebt. Aber klar, dass war ein Prozess. Ein durchaus auch schmerzhafter. Und einer, den Frau nicht allein gehen kann. Miriam weiß das. Und deshalb ist sie für andere Frauen da. Sie schreibt Bücher und engagiert sich mit vollem Einsatz dafür, dass die Politik endlich die Probleme von Frauen in den Wechseljahren aufgreift und etwas verändert. Wie genau sie das tut, was sie erreichen möchte, warum wir alle eine Stimme haben und sie nutzen sollten, erzählt sie im Interview mit dieAlte
dieAlte: Im April 2022 ist dein Buch „Die gereizte Frau“ erschienen. Was hat sich seither für dich geändert?
Miriam Stein: Liebe Daniela, mein ganzes Leben hat sich verändert, meine Arbeit, aber auch meine Sicht aufs Frauenleben.
Wenn Du mich vor drei Jahren gefragt hättest, ob die Wechseljahre mein Leben um zum Positiven verändern können, hätte ich gelacht. Letztendlich habe ich sowohl durch meine echt schweren Symptome, aber auch das Buch und den überraschenden Erfolg gelernt, dass die Perimenopause eine Lernphase ist. Ich lerne meinen Körper besser kennen, ich lerne mich von Dingen zu trennen, ich lerne Frauen und die Macht von Gemeinschaft schätzen.
Außerdem habe ich gemerkt, dass ich überhaupt nicht allein bin. Wir hätten uns nie kennengelernt! Ich habe meinen Job gekündigt und versuche nun meine professionelle Energie nur auf mich zu konzentrieren. Im Augenblick klappt das ganz gut.
„Wenn Du mich vor drei Jahren gefragt hättest, ob die Wechseljahre mein Leben um zum Positiven verändern können, hätte ich gelacht. Letztendlich habe ich sowohl durch meine echt schweren Symptome, aber auch das Buch und den überraschenden Erfolg gelernt, dass die Perimenopause eine Lernphase ist.“
Was ist deiner Meinung nach der Grund für die Ahnungslosigkeit, das wir Frauen nichts, oder sehr wenig über die Wechseljahre wissen?
Im patriarchalen System bestand die einzige, relevante Aufgabe der Frauen, männliche Nachfolger zu gebären. Alles drehte sich um Fortpflanzung: Erst um die „Sexiness“, die „Fuckability“ einer jungen Frau und dann um ihre Fruchtbarkeit. Unfruchtbare Frauen wurden zur sprichwörtlichen, gesellschaftlichen Altlast. Schlimm.
Ich habe in „Die gereizte Frau“ alte Schimpfworte aufgezählt, die einzig darauf abzielen, postmenopausale Frauen zu beleidigen. Ich schätze, irgendwann haben wir Frauen selbst angefangen zu glauben, dass wir nichts mehr wert sind.
Entsprechend hat die moderne Medizin, die auch um Männer gebaut wurde, kein Interesse an Frauen nach den Wechseljahren. Das muss sich jetzt ändern. Schließlich werden wir alle älter und viel mehr postmenopausalen Frauen werden diese Gesellschaft mittragen. Das geht viel besser, wenn wir gesünder und selbstbewusster sind.
„Im patriarchalen System bestand die einzige, relevante Aufgabe der Frauen, männliche Nachfolger zu gebären. Alles drehte sich um Fortpflanzung: Erst um die „Sexiness“, die „Fuckability“ einer jungen Frau und dann um ihre Fruchtbarkeit. Unfruchtbare Frauen wurden zur sprichwörtlichen, gesellschaftlichen Altlast. Schlimm.“
In deinem Buch hast du eindrücklich beschrieben, wie du die Anfänge der Perimenopause erlebt hast und die Herausforderungen. Wie geht es dir heute?
Mir geht es viel besser. Ich habe mich wirklich ausgiebig mit dem Thema beschäftigt und mich entschlossen, bioindentische Hormone zu nehmen. Die Medikamentierung hilft mir sehr – da sollte aber jede Frau individuell entscheiden.
Ich habe außerdem meine Ernährung umstellt – meine Freundin Susanne Liedtke von nobodytoldme hat mir beigebracht jeden Tag 500 Gramm Gemüse zu essen, das ist total einfach und sehr effektiv. Ich meide Zucker und rotes Fleisch. Manchmal habe ich immer noch Schlafprobleme und manchmal bin ich total erschöpft. Das finde ich aber ok. Ich weiß, woher diese Symptome kommen und ich kann gut damit umgehen. Es muss nicht immer alles sonnig sein, ein bisschen auf und ab gehört zum Leben.
Du hast es geschafft, das Thema Wechseljahre dieses Jahr zweimal im Bundestag zu platzieren. Wie kam es dazu?
Ich habe die Abgeordnete Dorothee Bär von der CSU bei einem privaten Termin kennengelernt. Zuvor habe ich mit Freundinnen von der SPD und den Grünen gesprochen, aber leider nichts mehr gehört. Dorothee Bär hat zunächst Dr. Sheila de Liz und mich zu einem parlamentarischen Abend im März eingeladen. Dort haben wir uns kennengelernt, dort sind erstmals Aktivistinnen aus ganz Deutschland zusammengekommen. Das war ein Aha-Erlebnis für mich: Die Energie, die von den Frauen ausging, hat mich total geflasht. Die Wechseljahre, mit all ihren schrecklichen Symptomen, bringen Frauen zusammen. Das ist für mich die wertvollste Erfahrung der letzten Jahre.
Am Weltmenopausetag im Oktober sind wir dann mit einer ganzen Armada von Frauen angerückt, unter anderem Dr. Katrin Schaudig und Ildikò von Kürthy, Dr. Sheila de Liz, aber auch Andrea Galle, Vorständin der BKK VBB, die jungen Kolleginnen von femfeel, Ricarda Lang, Bundesvorsitzende der Grünen und Männern: Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU war anwesend und der Oppmann der Union im Gesundheitsausschuss, Dr. Georg Kippel. Um echte Veränderung herbeizubringen müssen wir mit den Männern zusammenarbeiten. Ich wünsche mir, dass in fünf Jahren sich keine Frau mehr zu verschämt ist, um mit ihrem Chef über Wechseljahrsbeschwerden zu sprechen.
„Die Energie, die von den Frauen ausging, hat mich total geflasht. Die Wechseljahre, mit all ihren schrecklichen Symptomen, bringen Frauen zusammen. Das ist für mich die wertvollste Erfahrung der letzten Jahre.“
Das war doch ein voller Erfolg?
Die Union hat eine kleine Anfrage an die Regierung gestellt. Die Antwort war eher ernüchternd, aber zumindest ist das Thema jetzt auf dem Tisch. Gerade heute war ich bei einer Abgeordneten der SPD. Wir haben in 2023 wahnsinnig viel erreicht. Besonders ab 2025 wird der Aktivismus interessant. Dann gehen wir mit dem Thema in den Wahlkampf für mehr Frauengesundheit und gegen autoritäre Parteien, die sich gegen Gleichberechtigung stellen. Echte politische Gestaltung fängt im Koalitionsvertrag an. Ich bin gespannt.
Wie geht es jetzt weiter? Ich nehme mal an die Kampagne #wirsind9millonen und du gibst nicht auf?
Wir werden natürlich an der Politik dranbleiben. Politik ist ziemlich zäh und langwierig, aber ich bin optimistisch. Besonders stolz bin ich auf die Emails, die unsere Communities an die Abgeordneten geschrieben haben – es müssen sehr, sehr viele gewesen sein, es gab Stress an allen Fronten: Was tun? Wie antworten? Was wollen die?! Gerechtigkeit! Aufklärung! Gleichbehandlung! Hier müssen wir weitermachen, denn jede einzelne Frau kann einen Unterschied machen. Poltiker*innen sind heute so überlastet, dass sie gar nicht mehr wissen, was sie zuerst und zuletzt machen sollen. Daher brauchen wir Rückhalt und „öffentlichen Druck“. Viele Frauen in unserem Alter sehen gar nicht mehr, dass sie überhaupt einen Unterschied machen können. #wirsind9millionen beweist: Es geht sehr wohl. Wenn wir zusammenhalten.
Kürzlich ist die erste Studie zu den Wechseljahren am Arbeitsplatz in Deutschland erschienen. Warum ist das wichtig?
Weil wir endlich Zahlen aus Deutschland haben. Vorher hieß es immer: 1,8 Milliarden in den USA, 150 Milliarden weltweit, aber die hiesigen Unternehmen konnten sich immer noch rausreden. Jetzt wissen wir, dass knapp 20% der Arbeitnehmerinnen über 55 wegen der Wechseljahre in Frührente gehen wollen oder schon gegangen sind. Das geht gar nicht. Wir haben Fachkräftemangel. Vielleicht sollten wir mal über die Frauen, und nicht immer nur KI sprechen.
Was ist gut an der Lebensmitte?
Ich bin auf jeden Fall deutlich cooler heute als vor 15 Jahren. Wirklich. Ich kann endlich für mich einstehen. Ich kann ohne schlechtes Gewissen um 21 Uhr schlafen gehen. Mir ist total egal, ob Männer mich scharf finden oder nicht. Ich kann auf die erste Hälfte meines Lebens zurückblicken und feststellen: Ich bin lernfähig und bleibe es auch! Deswegen fällt es mir leichter, Ziele zu formulieren. Ich habe noch so viel vor, da brauche ich mindestens noch 40 Jahre, um das alles umsetzen zu können.
Wird es ein Nachfolger von „Die gereizte Frau“ geben? Oder ist schon alles gesagt über die Menopause?
Ha, erwischt. Es gibt einen Nachfolger, das neue Buch kommt im Herbst 2024. Ich begebe mich auf die Suche nach weiblicher Weisheit. Dabei geht es auch Menopause, aber vor allem über Frauenbilder für die zweite Lebenshälfte. Darum, dass man sich nicht unbedingt neu erfinden muss, sich aber weiterentwickeln kann. Dass es absurd ist, dass man in Zeiten, in denen die Lebenserwartung über 80 Jahre beträgt, überhaupt denken kann, ein Leben ganzes lang in den Rollen zu verharren, die man sich mit etwa 19 Jahren ausgesucht hat.
Frauen haben immer schon diverse gesellschaftliche Positionen bekleidet und durchaus auch im Laufe ihres Lebens diese Rollen gewechselt. Wir wissen das nur leider nicht mehr, weil Historiker Frauengeschichte als unwichtig entwertet und aus der Geschichte gestrichen haben. Die Hausfrau, die alles alleine wuppt, ist beispielsweise ein relativ junges und singuläres Phänomen. Wie lebten all die Priesterinnen, den Heilerinnen, den Hebammen, den Stammesältesten? Was können wir von den „Pasta-Grannies“ lernen? Warum überhaupt „Grannies“ und beispielsweise „Omas for Future“? Für Frauen ab 50 gab und gibt es andere Optionen als nur die der „Oma“.
Ich möchte diese Bilder wieder zusammensetzen und stattdessen die Rückkehr der weisen Alten zelebrieren. Über die ist definitiv nicht genug gesagt worden. Ich glaube, dass es Frauen aller Altersklassen helfen wird, wenn man bis ins hohe Alter eine Funktion und einen Wert hat. Wenn ich den Leserinnen dabei ein bisschen helfen kann, wäre ich sehr, sehr stolz.
„Mir ist total egal, ob Männer mich scharf finden oder nicht. Ich kann auf die erste Hälfte meines Lebens zurückblicken und feststellen: Ich bin lernfähig und bleibe es auch!“
Treffen in Berlin: Miriam Stein und Daniela Unterstab von dieAlte
Weitere Infos zu Miriam Stein findest du hier: www.miriamyungmin.com oder auf Instagram @miriamyungmin
Fotos: Robert Rieger, @miriamyungmin, dieAlte